Der wohl geschichtsträchtigste Ringel der Welt.
Als das Ringelshirt (damals noch aus Wolle) 1858 auf der Uniformliste französischer Seemänner landet, ahnt noch niemand, dass es Jahrzehnte später modische Relevanz erhält und diese dauerhaft behalten wird. Wir haben den Ursprung des "Marinière" besucht. Zu Gast in Saint James.
Gute zwölf Autostunden liegt der französische Ort von Leipzig entfernt. Hier liegen die Wurzeln des Originals, des wohl geschichtsträchtigsten Streifens der Welt. Die Fahrt führt via Autoroute, vorbei an Rouen und Caen, quer durch die Normandie. Laut Navi ist es hier nur schon grenzwertig festzustellen, ob wir uns noch in der Normandie oder bereits in der Bretagne befinden. Die Landschaft ist rau, die Böden sind sumpfig, die Luft ist salzig und in der Ferne peitschen die Wellen des Atlantiks. Bienvenue à Saint James.
Die Attraktion des 5.000-Seelen-Ortes Saint James ist seine gleichnamige Strickerei. Samt weltbekanntem Ringelshirt. Die Franzosen nennen es "Marinière" oder "Nationale", die Briten "Breton-Shirt", hierzulande ist es auch als Seemannspullover bekannt. Letzteres liegt an seiner Geschichte.
Mit seiner Familie eröffnet Monsieur Legallais seine Spinnerei 1850 in Saint James. Die Gegebenheiten sind gut, das Wasser des Beuvrons ist klar und perfekt zum Spinnen und Färben von Garnen. Er verarbeitet die Wolle seiner Region – sie ist widerstandsfähig – und seine Frau strickt wie keine andere. Ihr Handwerk spricht sich rum, der Strick von den Legallais' ist seewasserunempfindlich und optimal für Fischer und Seemänner.
Acht Jahre später unterzeichnet Napoléon ein Dekret, das der französischen Marine ein einheitliches Oberteil vorschreibt. Ursprünglich soll es indigofarben sein, doch der hohe Preis entscheidet darüber, dass sich das Blau mit einer anderen Farbe abwechselt. Das Ergebnis: Ein Streifenshirt, mit dem im Falle eines Falles Schiffbrüchige schneller erkannt werden können. Mit exakt 21 weißen und 20 blauen Streifen – der Legende nach soll jeder Streifen auf einen Sieg Napoléons über die Briten verweisen. Gestrickt werden sie in Saint James aus Wolle, schön engmaschig, wie es die Arbeit am Tau erfordert und auf hoher See vor Kälte und Salzwasser schützt.
Noch heute fertigt Saint James vor Ort seine Shirts fast wie vor hundert Jahren. Geblieben ist der etwas kürzere Schnitt ohne Bündchen und ein Sitz, der immer etwas enger ist als Sie ihn von Oberteilen hierzulande kennen, damit der Seemann nicht riskierte, irgendwo hängenzubleiben. Das Material hat sich verändert, – es ist nicht mehr so kratzig wie das Original aus dem 19. Jahrhundert – und hinzugekommen sind weitere Streifen und neue Farben. Die Designdirektorin Jacqueline Petipas erzählt: "Manche Muster entstehen ganz zufällig durch Strickfehler. Die meisten sind aber das Resultat einer Entwicklungsarbeit gemeinsam mit den Strickexperten, die schon mal bis zu einem Jahr in Anspruch nehmen kann."
Bis zu 23 Kilometer Garn fließen in jedes ihrer Shirts, 18 verschiedene Mitarbeiter werkeln alleine an einem bis zu 15 Tage. Saint James fertigt quasi-vertikal – das heißt sie geben ihre Fäden nicht aus der Hand, zum Teil lassen sie dafür noch ihre alten Strickmaschinen laufen. Vielleicht liegt darin das Geheimnis ihres Erfolges, vielleicht auch darin, dass die, die hier arbeiten, quasi ein Leben lang bleiben. Oder an ihren "Bonnetiers", wie sie sie liebevoll nennen, die unter Argusaugen jedes einzelne Shirt kontrollieren. Bei dem kleinsten Fehler wird nachgebessert. Saint James achtet auf sein Material und hält Verschnitte gering. Jedes Shirt wird daher direkt schon in Form gefertigt. Falls dann aber doch mal etwas Garn übrigbleiben sollte, wird es recycelt und anschließend gespendet als Füllung für Kuscheltiere. Einfach gut angezogen.
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