Das große Unbekannte – im Gespräch mit dem Leiter des Wisentgeheges Springe.
Er lädt vielleicht nicht direkt zum Kuscheln ein, weckt aber garantiert den Beschützerinstinkt, wenn man ihn erst mal näher kennt: der Wisent, auch europäisches Bison genannt. Immer wieder vom Aussterben bedroht, hat die wollige Rinderrasse nur deshalb eine Chance, weil Menschen wie Thomas Hennig, Leiter des Wisentgeheges in Springe, ihre Zeit, Leidenschaft und Ausdauer in die Rettung dieser außergewöhnlichen Tiere stecken. Mit ihm sprachen wir darüber, was Wisente so faszinierend macht und was wir gemeinsam dafür tun müssen, dass die sanften Riesen auch weiterhin ein Teil der (heimischen) Fauna bleiben.
Lieber Herr Hennig, wie kommt man darauf, ein Wisentgehege aufzubauen?
Vor rund 100 Jahren, also 1923, wurde die Internationale Gesellschaft zum Erhalt des Wisents gegründet – denn es gab zu dem Zeitpunkt nur noch 54 Tiere und kein einziges davon frei lebend.
Das größte europäische Landsäugetier stand somit unmittelbar vor dem Aussterben und die Internationale Gesellschaft hat es sich zum Ziel gesetzt, durch die Einrichtung von Zuchtstätten, eine koordinierte Zucht und den Beginn eines Zuchtbuches das Aussterben dieser Tiere zu verhindern. Springe war sozusagen die erste Wahl hier in Deutschland. 1928 sind dann die ersten Wisente hier eingezogen.
Sie als Wisent-Experte: Erzählen Sie doch mal, was die Leute über den Wisent wissen sollten. Gibt’s Vorurteile gegenüber dem Wisent, mit denen Sie gerne aufräumen würden?
Der Wisent muss einfach bekannter werden, weil wir grundsätzlich Angst vor dem Unbekannten haben. Das hat sich auch vor circa sechs Jahren gezeigt, als ein polnischer frei lebender Wisent deutsches Staatsgebiet betreten hat und wenige Stunden später auf behördliche Anordnung erschossen wurde. In Polen ist das anders: Dort leben Wisente schon seit den 50er-Jahren in freier Wildbahn und jedes Kind kennt die Tiere. Vor allem aber für unser Wald-Ökosystem wäre es ein Riesengewinn, wenn der Wisent wieder da wäre. Er frisst am Tag zwischen 30 und 40 Kilo Grünmasse und gestaltet so den Lebensraum. Stichwort: Biodiversität.
Kann ich bald im Wald plötzlich einem Wisent begegnen?
Im Rothaargebirge gibt es ebenfalls ein Auswilderungsprojekt. Das ist im Moment der einzige Ort in Deutschland, wo Sie theoretisch im Wald einem Wisent begegnen könnten. Alle 150 Jahre kommt auch mal ein Wisent über die Oder nach Deutschland. Vielleicht passiert das in Zukunft ja häufiger.
Gibt’s eine Begegnung mit einem der Tiere, die Ihnen bis heute nicht aus dem Kopf geht?
Besonders bewegend sind natürlich immer die Geburten von Wisent-Kälbern – so ein beginnendes Leben und dann in dem Wissen, dass man dem Tier mit hoher Wahrscheinlichkeit sozusagen ein Leben in Freiheit ermöglichen kann. Eine tolle Perspektive und Anlass zur Freude.
Gemeinsam mit dem WWF wildert das Wisentgehege Springe einmal im Jahr Tiere in Rumänien aus. Wie fühlt sich das an, nach Jahren der Betreuung einen Wisent in seinen natürlichen Lebensraum zurückführen zu können?
Also mir macht es Freude. Ich werde emotional, wenn die Tiere aus dem Hänger rauslaufen. Ich weiß, dass sie erst stufenweise in größere Gehege kommen, bis es dann nach sechs Monaten raus in die Freiheit geht. Man hat Tiere, die man vom ersten Lebenstag an kennt, und man weiß, so in zwei bis drei Jahren wissen wir nichts mehr über das Tier.
Wenn ich euer Projekt unterstützen möchte, wie könnte ich zum Schutz der Tiere und ihrer Lebensräume beitragen?
Die großen Naturschutzorganisationen sind natürlich immer auf Spenden angewiesen. So auch zum Beispiel der WWF Deutschland, der sich gerade in Aserbaidschan mit einem gigantischen Projekt engagiert, für das ich arbeite. Da kann man ernsthaft etwas tun. Und damit das Image des Wisents besser wird, sollte man am besten in die Anlagen kommen, sich dort Wisente angucken und mit eigenen Augen sehen, was das für kolossale, sensationelle und fürs Ökosystem wichtige Tiere sind.
Vielen Dank, Herr Hennig, für das Gespräch.